Bergwahn

Geschichten aus dem Schwarzwald

Strahlhorntour, Episode I

Wenn man ein selbstgebautes Splitboard im Keller stehen hat, dann schreit es irgendwann einmal so laut nach frostiger Frischluft, wie der eigene Verstand selbst. Dies war bei meinem Exemplar so gegen Dezember der Fall. Will man, dass die Stimmen im Kopf und im Keller endlich Ruhe geben, so muss man entweder den Weg zum Psychologen oder auf den Berg wählen. Da ich mit Job und expandierender Familie genug zu tun hatte, blieb keine Zeit für professionelle, medizinische Hilfe. Ich musste also raus. Und zwar immer nachts, wenn der immer hungrige Zwerg schläft.

So bin ich etwa 5- oder 6-mal mit Splitboard und Stirnlampe und mit wechselnder Begleitung auf und um dem Feldberg unterwegs gewesen. Schön. Nach Neuschnee sogar sehr schön. Mit Gunter, einer Digital-Spiegelrefelx-Kamera und einem Absacker-mit-Mario-Bier auch mal richtig geil (es wurde an geeigneter Stelle berichtet).

Doch irgendwann wollte ich dann doch mal auf große Fahrt gehen. Wollte sehen, wie sich so ein Selbstbau-Trenn-Brett oberhalb vom Feldbergniveau macht. Sagen wir mal, oberhalb von 4.000 m. Wenn man Touren oberhalb dieser magischen Marke anstrebt und nicht in direkter Linie verwandt mit Louis Trenker und einem Yeti ist, dann bleibt die Auswahl übersichtlich. Das Wallis ist es auf jeden Fall. Und wenn man noch ein wenig „Haute Route – Luft“ schnuppern will, dann bleibt nur noch das Strahlhorn. Mit 4.190 m schon ein Ernst zu nehmender Kollege. Ab der Britannia-Hütte wollen 1.250 Höhenmeter in guten 5 Stunden bewältigt werden. Die Abfahrt dauert dann vielleicht nur 2 Stunden.

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Kurz zur Planung: Termin Ende März oder Anfang April. Alles was später stattfindet kollidiert terminlich mit meiner familiären Expansionspolitik. Samstag legeres Einfahren in Saas-Fee bis 3.500 m, tief schlafen im Tal. Sonntag Eingehtour aufs Allalinhorn (4.027 m), hoch schlafen auf der Britannia-Hütte. Montag gegen 3 oder 4 Uhr los, 10 Uhr Gipfel, 13 Uhr zurück auf Hütte, 15 Uhr Abfahrt nach Hause, 19 Uhr Abendessen zu Hause und 20 Uhr quengeliges Kind ins Bett bringen. Kamerad am Berg sollte mal wieder Mario sein, mit dem ich schon auf sechs 4.000`er stand. Der Junge hat dicke Beine und eine Pferdelunge. Wenn man ihm Zeit zur Höhenanpassung gibt, dann nutzt er diese Organe auch in beeindruckender Weise. Genau der Richtige also für einen ewig langen Gletscher-Hatsch.

Ich kürze etwas ab: Wetterbedingt wurde es das erste Aprilwochenende. Am Montag, den 06.04., saß ich schon wieder im Büro am Schreibtisch. Dem Strahlhorn näherte ich mich nur auf etwa 3,5 km Luftlinie, was bei bester Sicht schon verdammt nah aussieht. Dazwischen trug sich folgendes zu:

Der gemütliche Einfahrtag war super. Optimaler Schnee auf dem Gletscher. Nichts los. Keine Wartezeiten – auch nicht an den Gondeln. Sonne satt und ein Panorama, dass mich auch nach 7 Besuchen ins Wallis umhaut. Allein Saas-Fee wird von 16 4.000 umringt. Bester Blick ins Berner Oberland. Lagginhorn und Weissmies, die wir an einem sportlichen Wochenende vor 2 Jahren machten, immer im Blick. Ein Traum.

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Abends bezogen wir unsere Unterkunft: 20-Betten-Lager in einem Luftschutzbunker eines Hotels. Scheiße. Auf vielen Schlafsäcken lagen Pflegeutensilien, die nur von jungen Mädels oder schwulen Luden aus Kabul benutzt werden. Schon besser. Als dann auch gleich 5 Mädels, halb bekleidet, alle gut aussehend, den Bunker betraten, fand ich die Unterkunft schon richtig gut. Die kurze Vorstellungsrunde versprach auch schon, dass da noch irgendwas ging. Natürlich redete ich mir ein, dass die nymphomanisch veranlagten Damen (ich hoffte sie waren über 18 Jahre alt) auf ältere Boarder mit Ehering und schütterem Haar standen. Zu diesem Zeitpunkt machte ich mir schon keine Gedanken mehr, wer denn wohl die anderen 13 Betten belegt hatte. Musste ich mir auch nicht, denn die stink besoffenen, laut gröhlenden, pupertierenden Hackfressen stellten sich so gegen 1 oder 2 Uhr morgens einzeln vor. Diese Vorstellungsrunde dauerte etwa bis 4 Uhr. Eine perfekte Nacht.

Der Wecker ging Sonnatg um 6:45 Uhr. Gutes Frühstück, leere Gondel, wir die 3. Seilschaft am Allalinhorn, bomben Wetter, Lawinenstufe runter auf 2, mittelprächtige Wetteraussichten, gute Fernsicht, top Schnee, gute Spur, alles (bis auf die letzte Nacht) wirklich gut.

Zu Beginn des Normalweges aufs Allalinhorn muss man den Nordhang queren. Bei der Traverse hatte ich schon die ersten Schwierigkeiten mit dem Splitboard. Die Spur der Ski-Tourengeher war einfach zu eng für mein Brett. Ich verharkte mich ständig an der Bindung. Wenn hangabwärts keine kleine Schneeführung war (kleiner Schneewall), dann rutschte ich immer mit einem Fuß ab. Das kostete viel Kraft. Wahrscheinlich fehlt doch die Stahlkannte an der Schnittseite der „Ski“, die mehr Halt bieten. Die Kehren im Steilgelände waren mit den schweren Brettern auch kein Spaß. Als wir am Feejoch in über 3.800 m waren, haben uns eine Vielzahl von anderen Seilschaften überholt und ich war schon verdammt fertig. Mario ging es mit seinen Tourenski nicht sehr viel besser. Auch er machte schon ein müdes Gesicht. Vom Splitboard hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon mächtig die Schnauze voll. Gott sei Dank hatte ich meine Bergstiefel und die Steigeisen mitgeschleppt. Also wurden am Joch die Schlappen gewechselt, Eisen und die Sohle genagelt, der Rucksack zurückgelassen und in den 40°-Gipfelhang gestiegen. Das fehlende Spitboard war eine echte Befreiung. So rannten wir quasi den kurzen Gipfelhang hoch und überholten nahezu alle Seilschaften, die uns zuvor die lange Nase zeigten. In insgesamt 2 Stunden und 10 Minuten – eine übliche Zeit ab der Metro Allalin Station – waren wir oben. Den Hammer-Blick genossen wir nicht lange, denn gefühlte 500 Italiener drängten hoch und verbreiteten den Lärm einer sizilianischen Frohnleichnahmsprozession. Oben ging es Mario aus verschiedenen Gründen gar nicht gut. Hier wurde mir zum ersten Mal klar, dass das Strahlhorn wohl dieses Mal nichts werden wird. Beim Abstieg dann der alltäglich Wahnsinn an einem leichten 4.000`er: Vor Erschöpfung kotzende Italienerin, deutsche Familie mit Kinder (etwa 8 Jahre alt, ohne Seil), zeitgleich über 100 Bergsteiger am Gipfelaufschwung und noch um 14 Uhr Leute, die auf den Gletscher ihre Tour beginnen. Zum Abgewöhnen.

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Natürlich war die Abfahrt aus fast 4.000 m Höhe schon mächtig verspurt. Wenn man nicht durch die Spalten und über die Gletscherabbrüche fliegen will, dann musste man schon viel Glück haben und einige Umwege in Kauf nehmen, um noch etwas Powder unters Brett zu bekommen. Wenn man ihn dann fand, dann war er aber auch wirklich von aller bester Güte. Solche Qualität kommt tatsächlich nur unters qualifizierte Brett oder in die qualifizierte Nase. Mein in dieser Saison noch nicht ausgelebter Spieltreib sorgte dann aber dafür, dass ich einmal abschnallen musste, weil ich noch ein paar Schwünge machen und eine kleine Wechte shredden wollte. Ich verpennte so einen flachen Auslauf und durfte laufen. Im tiefen Schnee, mit dem ganzen Gerödel auf`m Rücken (ich erinnere an die zusätzlichen Schuhe, Eisen, Pickel, Seil, etc.) und dem verdammt schweren Splitboard unterm Arm, ein echter Scheiß. Zu diesem Zeitpunkt war ich wirklich nicht mehr gut auf mein Selbstbau zu sprechen.

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Die Abfahrt ins Tal verkürzten wir durch Seilbahnunterstützung. Mario hatte kein Bock mehr.

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Hinsichtlich der eigentlich geplanten Strahlhorntour konnte ich aber unter positiv notieren:

  • Die angedachte und durchgeführte Höhenanpassung ging voll auf. Mir ging es so gut, wie selten in 4.000 m.
  • Die meisten Spalten sind auf dem Allalingletscher geschlossen. Die Aufstiegsroute über den Gletscher ist kerzengerade.
  • Die Steigungen sahen vom Allalinhorn sehr easy aus – nichts über 40°.

Es wird also eine Episode II geben. Leider wird die aber ein wenig dauern. Ich hoffe, dass ich noch im Juni Zeit finden werde einen neuen Angriff zu starten. Dabei wird das Trennbrett eine neue Chance erhalten, denn der Focus liegt bei dieser Tour deutlich auf Latschen – und zwar ohne groß zu traversieren. Zur Sicherheit nehme ich aber noch die Schneeschuhe mit. Auch wenn die Bedingungen sicher nicht mehr allzu lange so optimal bleiben werden, ich bin mir sicher, dass das Strahlhorn die lange Anreise wert ist. Dann vielleicht in einer etwas anderen Zusammenstellung der Besatzungsmitglieder – mal sehen, wer sich findet…

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